Das Landgericht Hamburg (Beschl. v. 06.05.2024 – 311 S 5/24 –) hat im Berufungsverfahren zugunsten eines von KMR vertretenen Pflegeunternehmens entschieden, dass einem Residenzbewohner bei einer Entgelterhöhung nach § 9 Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) lediglich grundlegende Kalkulationsunterlagen, nicht aber Einzelbelege vorgelegt werden müssen. Dies unterscheidet das Erhöhungsverfahren nach dem WBVG maßgeblich bspw. von der Belegeinsicht bei Betriebskostenabrechnungen im Mietrecht nach dem BGB. Ob der Residenzbewohner die eingesehenen Kalkulationsgrundlagen selbst nachvollziehen kann, ist unerheblich.
Vorliegend wurde gegen einen Residenzbewohner Klage auf Zustimmung zu einer Entgelterhöhung erhoben, da dieser einer Entgelterhöhung nach § 9 WBVG nicht zugestimmt hatte. Dieser verteidigte sich im gerichtlichen Verfahren mit der Begründung, er habe entsprechende Belegeinsichten für eine Erhöhung des Entgelts, welches auf die Unterkunft entfiele, nicht erhalten. Diese seien aus seiner Sicht jedoch für die Grundlage der Kostenberechnung maßgeblich gewesen. Andere Gründe, die eine Verweigerung der Zustimmung rechtfertigen könnten, wurden dabei nicht vorgetragen.
Anwendung des Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz im Residenzbereich
Im Allgemeinen findet bei der Überlassung von Wohnraum im Zusammenhang mit einem Pflegevertrag zwischen Unternehmer und Bewohner (Verbraucher) das WBVG Anwendung. Gemäß § 1 Abs. 1 WBVG findet das Gesetz Anwendung auf einen Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem volljährigen Verbraucher, in dem sich der Unternehmer zur Überlassung von Wohnraum und zur Erbringung von Pflege- oder Betreuungsleistungen verpflichtet, die der Bewältigung eines durch Alter, Pflegebedürftigkeit oder Behinderung bedingten Hilfebedarfs dienen.
Das Landgericht Hamburg hat im o. g. Hinweisbeschluss zur Anwendbarkeit des WBVG im Residenzwohnen ausgeführt, dass es:
"...unerheblich ist, ob die Pflege- oder Betreuungsleistungen nach den vertraglichen Vereinbarungen vom Unternehmer zur Verfügung gestellt oder vorgehalten werden, § 1 Abs. 1 S. 2 WBVG."
Pflegeleistungen sind insbesondere personenbezogene Pflegesachleistungen nach dem SGB XI, wie beispielsweise Hilfen bei der Körperpflege oder der Einnahme von Mahlzeiten, Hilfen beim Aufstehen, An- und Ausziehen, Betten machen, sowie die Behandlungspflege nach dem SGB V, wie z. B. die Gabe von Medikamenten, Blutdruck- und Blutzuckermessung, An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen oder Verbandswechsel.
Betreuungsleistungen umfassen in erster Linie Hilfeleistungen bei der Gestaltung des Alltags und die Unterstützung bei Aktivitäten, wie z. B. Maßnahmen zur Tagesstrukturierung, Angebote zur bedürfnisgerechten Beschäftigung oder auch die Begleitung bei Spaziergängen und die Unterstützung bei der Pflege sozialer Kontakte.
Vorliegend ergab sich aus den vertraglichen Vereinbarungen, dass das Pflegeunternehmen als Klägerin sich zur Erbringung von Betreuungsleistungen in diesem Sinne verpflichtet hatte. Das Landgericht Hamburg hat klargestellt:
"Vorliegend ergibt sich aus den vertraglichen Vereinbarungen, dass die Klägerin sich zur Erbringung von Betreuungsleistungen in diesem Sinne verpflichtet hat. So stehen […] dem Beklagten als Bewohner als Inklusivleistungen eine persönliche und therapeutische Beratung sowie Einkaufs- und Botendienste zur Verfügung, […] fördert die Klägerin die Integration des Beklagten durch ein Angebot an kulturellen und geselligen Veranstaltungen und Ausfahrten. Insoweit liegen unzweifelhaft Betreuungsleistungen im Sinne des Gesetzes vor. Die Klägerin hat sich darüber hinaus auch zur Erbringung von Pflegeleistungen verpflichtet. Gemäß § 1 Abs. 1 S. 2 WBVG müssen die vertraglich vereinbarten Pflege- und Betreuungsleistungen nicht unmittelbar mit Beginn des Vertragsverhältnisses erbracht werden, sie können auch vorerst nur vorgehalten werden, bis ein konkreter Pflege- und Betreuungsbedarf entsteht. Soweit gefordert wird, dass die vereinbarten Leistungen in einem solchen Fall jederzeit vom Verbraucher abgerufen werden können […] erfüllt die vertragliche Vereinbarung diese Voraussetzung."
Voraussetzungen der Entgelterhöhung nach § 9 WBVG
Die Wirkungen des WBVG treten unmittelbar zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ein. Dies gilt selbst dann, wenn noch keine Pflege- oder Betreuungsleistungen erbracht, sondern lediglich vorgehalten werden. Dadurch wird ein effektiver Verbraucherschutz sichergestellt. Ob das WBVG oder das Miet- und Dienstvertragsrecht des BGB Anwendung finden, ist im Einzelfall anhand des konkreten vertraglichen Leistungsumfangs zu bestimmen.
Um die der Erhöhung zugrunde liegenden Kostensteigerungen nachvollziehen zu können, sieht § 9 Abs. 2 Satz 5 WBVG vor, dass der Unternehmer dem Verbraucher Gelegenheit gibt, die getätigten Angaben durch Einsicht in die Kalkulationsgrundlagen zu überprüfen. Detaillierte Einzelnachweise, das heißt Rechnungen, Verträge und andere Einzelbelege sind dagegen nicht vorzulegen. Es genügt eine Übersicht aus dem Buchungsprogramm.
Kalkulationsgrundlagen umfassen im Bereich der Unterkunftskosten unter anderem Angaben zu den tatsächlichen Kosten für Wasser, Heizkosten, Grundsteuer und Versicherung. Diese Ausgaben kann der Unternehmer dem Verbraucher buchhalterisch mittels Auszügen aus dem Buchungssystem zur Verfügung stellen. Dem Verbraucher ist es dann – ggf. auch unter Einbezug fachkundiger Dritter – möglich, diese Auszüge dahingehend zu überprüfen, ob die von dem Unternehmer zugrunde gelegten Kosten korrekt ermittelt worden sind und damit als neue Berechnungsgrundlage dienen können.
§ 9 WBVG verlangt dabei, wie das Landgericht Hamburg klargestellt hat, lediglich eine Gegenüberstellung der Einzelpositionen, jedoch keine Darstellung, die dem Verbraucher eine Plausibilitätskontrolle oder eine inhaltliche Überprüfung ermöglichen würde. Zur beschränkten Reichweite des Einsichtsrechts hatte auch bereits das Oberlandesgericht Dresden (Urt. v. 02.08.2022 – 4 U 143/22 –) entschieden.
Verstoß gegen Einsichtsrecht führt nicht zur Unwirksamkeit des Erhöhungsverlangens
Das Landgericht Hamburg hat abschließend festgestellt, dass selbst ein Verstoß gegen das Einsichtsrechts des Verbrauchers nicht zu einer Unwirksamkeit der Erhöhung der Entgelte führt.