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Urteil des Verwaltungsgerichts Halle: Rückforderung von Investitionsentgelten durch die Heimaufsicht rechtswidrig

Urteil des Verwaltungsgerichts Halle: Rückforderung von Investitionsentgelten durch die Heimaufsicht rechtswidrig

Das Verwaltungsgericht Halle hat am 27.06.2024 (Az.: 5 A 156/22 HAL) eine Grundsatzentscheidung getroffen, die positive Auswirkungen für Betreiber von Pflegeeinrichtungen in Sachsen-Anhalt und darüber hinaus hat. Die inzwischen rechtskräftige Entscheidung behandelte die Frage, ob der Betreiber einer Pflegeeinrichtung die steigenden Kosten für notwendige Investitionen, wie gestiegene Miete, Instandhaltungs- und Instandsetzungsaufwendungen, Leasing von Betriebs- und Geschäftsausstattung sowie Eigenkapitalzinsen, angemessen auf die Bewohnerinnen und Bewohner umlegen durfte und ob die hoheitliche Anordnung der Heimaufsicht zur teilweisen Rückzahlung rechtmäßig war.

Hintergrund der Entscheidung

Der von KMR vertretene Betreiber einer Pflegeeinrichtung erhöhte im Jahr 2019 die Investitionskosten auf 20,35 Euro pro Pflegetag für Einzelzimmer und 18,85 Euro pro Pflegetag für Doppelzimmer. Die Bewohnerinnen und Bewohner, vertreten durch ihren Bewohnerbeirat, meldeten jedoch Bedenken an. Das zuständige Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt (Heimaufsicht) zweifelte daran, dass diese Erhöhung wirklich gerechtfertigt und wirtschaftlich notwendig war. Insbesondere wurden die Höhe der Eigenkapitalzinsen und der Instandhaltungskosten hinterfragt.

Der Betreiber legte daraufhin detaillierte Kalkulationsunterlagen vor, um die Erhöhung zu begründen. Doch auch nach einer weiteren Prüfung durch das Landesverwaltungsamt vertrat dieses die Auffassung, dass eine Eigenkapitalverzinsung nicht angemessen sei und auch die kalkulierten Instandhaltungs- und Instandsetzungsaufwendungen zu hoch angesetzt seien. Das Landesverwaltungsamt entschied daraufhin, die Erhöhung der Investitionskosten auf 17,32 Euro pro Pflegetag zu begrenzen und forderte die Rückzahlung der darüber hinaus vereinnahmten Beträge. Insgesamt standen etwa 100.000 Euro zur Rückforderung im Raum.

Entscheidung des Gerichts

Die 5. Kammer des Verwaltungsgericht Halle ("Präsidentenkammer") hob den Bescheid des Landesverwaltungsamtes vollständig auf. Die Kammer stellte fest, dass die Begrenzung der Investitionskosten durch die Heimaufsicht rechtswidrig war. Besonders kritisch sah das Gericht, dass die Berechnung der Eigenkapitalzinsen durch die Heimaufsicht allein auf dem - zum damaligen Zeitpunkt - negativen Basiszins (-0,66 %) der Europäischen Zentralbank (EZB) basierte. Die Kammer betonte, dass dies das wirtschaftliche Risiko des Betreibers nicht ausreichend berücksichtigt.

Würde man eine Eigenkapitalverzinsung als Pendant zu Fremdkapitalzinsen verneinen, würde im ohnehin angespannten Pflegemarkt kein Investor mehr agieren.

Bestätigung der Eigenkapitalverzinsung | Vergleichsmaßstab "Indikator der Kreditfinanzierungskosten"

Damit Pflegeeinrichtungen stabil finanziert werden können, braucht es eine ausgewogene Mischung von Fremd- und Eigenkapital. Das Verwaltungsgericht betont, dass es wichtig sei, Eigenkapitalzinsen (im vorliegenden Fall 4 % des Abschreibungsbetrages der Anlagegüter) anzuerkennen, damit Betreiber keinen Nachteil gegenüber der Nutzung von Fremdkapital haben. Die Orientierung am Basiszins der EZB berücksichtigt solche wirtschaftlichen Realitäten nicht ausreichend, vor allem in Zeiten von Niedrig- oder Negativzinsen. Eine faire Verzinsung des Eigenkapitals ist notwendig, um das wirtschaftliche Risiko auszugleichen und Investitionen in die Pflegebranche attraktiv zu halten. In jedem Fall ist eine Verzinsung von 1 % zu gewähren. Als Vergleichsmaßstab könne beispielsweise der "Gewichtete Indikator der Kreditfinanzierungskosten für neue Kredite an Unternehmen" (MFI-Zinsstatistik für den Euroraum) dienen: momentan liegt dieser bei 5,01 % (Stand: August 2024, Pressemitteilung v. 02.10.24 der EZB).

"Fiktive Eigenkapitalzinsen sind grundsätzlich geeignet, als Investitionsaufwendungen auf die Bewohnerinnen und Bewohner einer Pflegeeinrichtung umgelegt zu werden. Mit der Gesetzesänderung des § 82 Abs. 2 Nr. 1 SGB XI, durch den Einschub "einschließlich Kapitalkosten" im Gesetz zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs in stationären Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen vom 20. Dezember 2012 (BGBl. I S. 2789), wurde klargestellt, dass neben den Kapitalkosten für Gebäude und andere abschreibungsfähige Anlagegüter auch die fiktive Eigenkapitalverzinsung zu den umlagefähigen Investitionskosten gehören."

Konsequenzen des Urteils

Das Urteil hat große Bedeutung für Pflegeeinrichtungen, da es zeigt, dass die Anforderungen an eine hoheitliche Rückforderung sehr hoch sind. Es ist davon auszugehen, dass die Heimaufsichtsbehörden in Zukunft eher zurückhaltend agieren werden.

Das Verwaltungsgericht hat es jedoch vermieden, die noch immer offene Frage zur Reichweite der Eingriffsbefugnisse der Heimaufsicht in den zivilrechtlichen Wohn- und Betreuungsvertrag zu klären. Von der Verfassungswidrigkeit der entsprechenden Eingriffsbefugnis war die Kammer nicht überzeugt, da hierfür eine "sichere Überzeugung" von der Verfassungswidrigkeit der Norm erforderlich ist, zu welcher sich die Kammer nicht durchringen konnte. Eine Entscheidung hierzu wird es daher vorerst nicht geben, da das Land Sachsen-Anhalt gegen das Urteil keine Berufung eingelegt hat.

Obwohl das Gericht den Bescheid der Behörde wegen unzureichender Begründung aufhob, bleibt das Recht der Heimaufsicht zunächst bestehen, solche Anordnungen zu treffen (vgl. § 23 Abs. 1 WTG LSA). Das bedeutet, dass die Behörden auch weiterhin prüfen können, ob Kostenerhöhungen gerechtfertigt sind, um die Bewohnerinnen und Bewohner zu schützen. Wie dies bei Entgelterhöhungen konkret ausgestaltet sein soll, bleibt jedoch unklar. Eine präzise „Segelanweisung“ vom Verwaltungsgericht Halle blieb aus.

In der Praxis wird es der Heimaufsicht daher kaum noch möglich sein, entsprechende Rückforderungsbescheide rechtssicher zu erlassen, da bereits der kleinste Rechenfehler zur Rechtswidrigkeit eines Rückforderungsbescheides führen kann. Das Gericht stellte klar:

"Setzt die Heimaufsicht mit der Anordnung der Erstattung von bereits vereinnahmten Entgelten final die zivilrechtlichen Ansprüche der Bewohnerinnen und Bewohner um, muss sie prüfen, ob der konkrete Anspruch zum Zeitpunkt der Entscheidung besteht und ob dieser durchsetzbar ist."

Betroffene Leistungserbringer sollten daher entsprechende Bescheide genauestens prüfen lassen.

Fazit

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle zeigt deutlich, dass die Heimaufsicht im Bereich der Entgeltrückforderung kaum noch wirksame Handlungsoptionen besitzt. Die Anforderungen an eine rechtmäßige Rückforderung sind so hoch, dass die Heimaufsicht de facto nur noch eingeschränkt in der Lage ist, gegen Entgelterhöhungen vorzugehen. Viele Bundesländer haben entsprechende Eingriffsbefugnisse ohnehin in den letzten Jahren bereits aus ihren Heimgesetzen gestrichen - nicht zuletzt wegen der klaren Absage des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) Baden-Württemberg an Einmischungen der Heimaufsicht in den WBVG-Vertrag (VGH Mannheim, Urteil vom 09.07.2012, Az.: 6 S 773/11). Dies macht die Heimaufsicht in diesem Bereich letztlich zu einem zahnlosen Tiger.

Betreiber von Pflegeeinrichtungen können sich dadurch auf mehr Sicherheit verlassen, solange sie ihre Kalkulationen nachvollziehbar und transparent gestalten. Dies ist auch zu begrüßen, da mit dem Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) und der Aufnahme des WBVG in das Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) bereits ausreichende Verbraucherschutzmechanismen gesetzlich normiert sind. Ein zusätzlicher Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher durch die Heimaufsichtsbehörden im Bereich der Entgeltgestaltung ist daher nicht notwendig.

Zudem sollte in Investitionskostenverhandlungen mit den Sozialhilfeträgern auf eine Verzinsung des Eigenkapitals - gegebenenfalls auch vor der SGB XII-Schiedsstelle - bestanden werden.

"Eigenkapitalzinsen stellen den entgangenen Nutzen dar, der bei einer alternativen Verwendung der vorhandenen Ressourcen hätte erzielt werden können. Sie werden berücksichtigt, weil der Eigenkapitalgeber sein Kapital zu ähnlichem Risiko auch in eine andere Kapitalanlage investieren könnte."